Die Schlussanträge der Generalanwältin Madina in zwei anhängigen EuGH-Verfahren stellen die Europarechtskonformität der deutschen umsatzsteuerlichen Organschaft in Frage. Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH urteilt. Bei einigen Steuerpflichten besteht jedoch jetzt schon akuter Handlungsbedarf.
Die umsatzsteuerliche Organschaft, so wie wir sie in Deutschland kennen, ist aufgrund der EuGH Rechtsprechung seit Jahren im Wandel, die Rechtslage geprägt von Unsicherheit und bösen Überraschungen In Betriebsprüfungen.
Weiterhin Klärungsbedarf bei Personengesellschaften als Organgesellschaften
Die Beschränkung, dass nur juristische Personen Organgesellschaften sein können, ist schon im Jahr 2015 vom EuGH gekippt worden. Der XI. und der V. Senat des BFH haben in der Folge unterschiedlich geurteilt. Bisher hat sich die strengere Auffassung des V. Senats in der Finanzverwaltung durchgesetzt. Doch diese strenge Auffassung wurde durch ein weiteres EuGH Urteil aus
April 2021 (C-868/19), als unionsrechtswidrig eingestuft.
Eine Anpassung des Umsatzsteueranwendungserlasses, eine Klarstellung seitens des Finanzministeriums oder des Gesetzgebers sind bisher nicht erfolgt. Steuerpflichtige sollten daher jetzt prüfen, welche Regelung für sie günstiger ist, und die Argumentationsgrundlage dann entweder auf die nationale Regelung oder auf die EuGH Rechtsprechung stützen.
Schlussanträge der Generalanwältin
Die Rechtsform der Organgesellschaft ist möglicherweise nicht die einzige Gesetzesänderung, die bevorsteht. Es sind zwei weitere Verfahren beim EuGH anhängig (C-141/20 und C-269/20). In 2019 hatte bereits der XI. Senat des BFH die Frage vorgelegt, ob die nationale Ausgestaltung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft überhaupt EU rechtskonform sei. Im Jahr 2020 folgte der V. Senat und legte dem EuGH dieselbe Frage ein weiteres Mal vor.
Die Generalanwältin Laila Medina hat in ihren Schlussanträge harte Worte gefunden und die gesamte deutsche Regelung zur Organschaft in Frage gestellt. Sie betont insbesondere, dass Unternehmer als die Steuerpflichtigen, anders als im deutschen Umsatzsteuerrecht bestimmt, diese Eigenschaft nicht verlieren, solange sie selbständige wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben.
Ferner sei die deutsche Regelung, die den Organträger als einzigen Steuerpflichten vorsieht (vgl. § 2 Abs. 2 UStG), nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Die Sechste Richtlinie (mittlerweile durch Richtlinie 2006/112/EG ersetzt) sei insofern allgemeiner gefasst. Sie erlaube den Mitgliedstaaten nur, einzelne Steuerpflichtige für Zwecke der Mehrwertsteuer „verfahrensrechtlich“ zusammenzufassen.
Das nationale Konzept sieht bisher die Steuerpflicht des Organträgers, also eines einzigen Mitglieds der Mehrwertsteuergruppe vor.
Aussicht
Sollte der EuGH den Schlussanträgen der Generalanwältin folgen, würde der Organträger entgegen § 73 AO nicht für die Steuerschuld der Organgesellschaften haften. Gleichwohl könnten die Organgesellschaften gem. § 2 Abs. 2 UStG weiterhin den Organträger als Steuerschuldner betrachten. Somit sieht der V. Senat zurecht die Gefahr enormer Steuerausfälle.
Wann die Entscheidungen des EuGH ergehen wird, ist noch nicht genau absehbar, vermutlich jedoch noch dieses Jahr. In jedem Fall sollte geprüft werden, ob noch offene Jahren durch Einsprüche oder Änderungsanträge offengehalten werden sollten.
Bis dahin bleibt offen, wer in Zukunft Steuerschuldner im Rahmen einer Organschaft sein wird, ob die Einordung als Organgesellschaft zur „Unselbständigkeit“ führt zu verneinen und (wenn überhaupt noch maßgebend), welche Personengesellschaften Organgesellschaften sein können.
Die Antwort auf diese Fragen entscheidet, ob Innenumsätze zwischen Mitgliedern der Organschaft weiterhin nicht steuerbar sind, oder die Organschaft in eine Mehrwertsteuergruppe umgewandelt wird, die eine reine Vereinfachung im Rahmen der Deklaration mit sich bringt.
Für den Fall, dass der EuGH die Auffassung der Generalanwältin teilen sollte, wäre dies der „Tod“ der gegenwärtigen Regelung zur Organschaft. Ob die Organschaft, so wie wir sie kennen ausstirbt, liegt also, in Händen des EuGHs.