Herausforderungen für Schwarmfinanzierungsdienstleister bei der Umsetzung der vorvertraglichen Bedenkzeit


Um den Anlegerschutz zu erhöhen, wurde den Schwarmfinanzierungsplattformen die Pflicht auferlegt, eine viertägige vorvertragliche Bedenkzeit zu gewähren. Wie diese im Verhältnis zum Verbraucherwiderruf steht, wird in der Praxis kontrovers diskutiert und stellt die Betreiber von Crowdfunding-Plattformen vor Herausforderungen.

Mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Oktober 2020 über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister für Unternehmen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/119 und der Richtlinie (EU) 2019/1937 (kurz: „ECSP-VO“) wird erstmalig ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen für Schwarmfinanzierungsangebote und deren Dienstleister geschaffen. Seit dem 10. November 2021 ist die Verordnung unmittelbar anwendbares Recht in den Mitgliedstaaten. Ergänzend zu der ECSP-VO wurden in Deutschland die §§ 32b ff. WpHG durch das sog. Schwarmfinanzierungs-Begleitgesetz eingeführt.

Die ECSP-VO führt eine Erlaubnispflicht für die Erbringung von Schwarmfinanzierungsdienstleistungen ein, die grenzüberschreitende Angebote von Crowdfunding-Plattformen erleichtern soll. Schwarmfinanzierungsdienstleistungen im Anwendungsbereich der ECSP-VO dürfen fortan nur mit der erforderlichen ECSP-Erlaubnis angeboten werden. Dies betrifft die Vermittlung von Krediten sowie die Platzierung und Vermittlung übertragbarer Wertpapiere bis zu einem Emissionsvolumen von EUR 5 Mio. Die europäischen Erlaubnispflichten verdrängen in diesem Anwendungsbereich insofern die bislang geltenden nationalen Regelungen.

Das Ziel einer einheitlichen europäischen Regulierung von Schwarmfinanzierungsangeboten ist zu begrüßen. Gleichzeitig enthält die ECSP-VO eine Vielzahl von Regelungen und Mechanismen, deren Anwendung oder Zweck (noch) nicht immer hinreichend klar ist. Die sog. regulatory technical standards (“RTS“) der ESMA sind noch nicht final umgesetzt; nach dem Final Report vom 10. November 2021 warten die nationalen Aufsichtsbehörden noch immer auf die Annahme und Verabschiedung durch die Europäische Kommission.

Zu den in der Praxis umstrittenen Fragen gehört auch die sog. vorvertragliche Bedenkzeit (Art. 22 ECSP-VO).

Vorvertragliche Bedenkzeit

Die vorvertragliche Bedenkzeit ermöglicht es dem nicht kundigen Anleger(= Privatkunde im Sinne der MiFID II), sich ohne Begründung innerhalb von vier Tagen von seinem Anlageangebot oder der Bekundung seines Interesses am Schwarmfinanzierungsangebot zu lösen. Unklarheiten bestehen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der vorvertraglichen Bedenkzeit und dem Verbraucherwiderruf.

Bisher: Ausschließlich der 14-tägige Widerruf

Jedem Anleger, der ein Verbraucher ist (§ 13 BGB), steht bei im Internet geschlossenen Fernabsatzverträgen ein 14-tägiges Verbraucherwiderrufsrecht zu. Dies umfasst auch weiterhin Verträge über Crowdfunding-Investments.

Bei der Vermittlung von Vermögensanlagen (z.B. Nachrangdarlehen, partiarischen Darlehen, Namensschuldverschreibungen) im Anwendungsbereich des Vermögensanlagengesetzes (kurz: „VermAnlG“) steht Anlegern zudem ein Widerrufsrecht gem. § 2d Abs. 1 S. 1 VermAnlG zu. Im Anwendungsbereich der ECSP-VO (Kredite und Wertpapiere) ist das VermAnlG und das vermögensanlagen-spezifische Widerrufsrecht jedoch nicht anwendbar.

Neu: Vorvertraglicher Widerruf innerhalb von 4 Tagen

Nach Art. 22 Abs. 2 ECSP-VO soll der Schwarmfinanzierungsdienstleister im Rahmen seines Anlageangebotes oder seiner Interessenbekundung dem potenziellen nicht kundigen Anleger eine vorvertragliche Bedenkzeit einräumen, innerhalb derer der potenzielle nicht kundige Anleger ohne Begründung und ohne Vertragsstrafe den Vertrag widerrufen kann. Der nicht kundige Anleger entspricht dem Privatkunden bzw. nicht professionellen Kunden im Sinne der MiFID II. Privatkunde und damit nicht kundiger Anleger ist nicht gleichzusetzen mit dem des Verbrauchers aus § 13 BGB. Der Begriff des nicht kundigen Anlegers ist weiter gefasst und kann auch Unternehmer und damit zum Beispiel juristische Personen erfassen. Diesen steht als nicht kundigen Anlegern die vorvertragliche Bedenkzeit der ECSP-VO zu, nicht jedoch das Verbraucherwiderrufsrecht des BGB.

Die Bedenkzeit beträgt nach Art. 22 Abs. 3 ECSP-VO vier Kalendertage nach Abgabe des Anlageangebots oder der Interessenbekundung. Die Bezugnahme für den Fristbeginn auf die „Interessenbekundung“ dürfte dabei kaum Bedeutung zukommen, weil eine Interessenbekundung in allen Regelungen ohnehin unverbindlich ist, es also einer zusätzlichen Loslösung vom Vertrag oder vom eigenen Angebot gar nicht bedarf.

Die Regelung ist jedenfalls auch nicht so zu verstehen, dass erst frühestens nach Ablauf der Bedenkzeit überhaupt ein Vertragsschluss möglich sein soll. Hierfür gibt weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Norm Anhaltspunkte.

Die Form des Widerrufs ist nicht ausdrücklich geregelt, richtet sich jedoch gem. Art. 22 Abs. 5 ECSP-VO nach den Modalitäten, mittels derer der Anleger ein Anlageangebot machen oder Interesse an einem Schwarmfinanzierungsangebot bekunden kann. Das bedeutet, der Anleger muss den Widerruf auch elektronisch vornehmen können (z.B. mittels eines Widerrufsbuttons).

Die Zielrichtung der Bedenkzeit liegt im Schutz des Anlegers. Es soll verhindert werden, dass der Anleger mit der Annahme eines Schwarmfinanzierungsangebots zeitgleich auch ein Angebot für einen rechtsverbindlichen Vertrag annimmt, ohne eine Möglichkeit zu haben, sich von dem Vertrag zu lösen (s. Erwägungsgrund 47 der ECSP-VO).

Verhältnis der vorvertraglichen Bedenkzeit zum Verbraucherwiderruf

In der Praxis stellt sich vor allem die Frage, wann konkret die vorvertragliche Bedenkzeit zu laufen beginnt und wie sich die 14-tägige Verbraucherwiderrufsfrist auf die Bemessung der Bedenkzeit auswirkt.

Entsprechend des Wortlauts der ECSP-VO handelt es sich um eine „vorvertragliche Bedenkzeit“. Das bedeutet, dass die Frist für den Zeitraum vor dem eigentlichen Vertragsschluss gilt. Im Unterschied zu dem Verbraucherwiderrufsrecht. Dieses gilt ab Vertragsschluss und vollständiger Information gemäß § 312g Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 355 Abs. 2 S. 2, 356 Abs. 3 S. 1 BGB. Darin liegt ein maßgeblicher Unterschied zwischen der vorvertraglichen Bedenkzeit und dem Verbraucherwiderrufsrecht. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn in der juristischen Literatur vertreten wird, dass die vorvertragliche Bedenkzeit mit dem Vertragsschluss automatisch endet. [1] Eine vorvertragliche Bedenkzeit, die über den Vertragsschluss hinaus besteht, wäre damit ein Widerspruch in sich. Das bedeutet aber auch, dass bei einem Vertragsschluss über ein Schwarmfinanzierungsangebot, bei dem Anleger mit ihrer digitalen „Zeichnung“ ein vorheriges Anlageangebot eines Projektträgers auf Vertragsschluss unmittelbar annehmen, auch die Bedenkzeit mit der digitalen Zeichnung bereits endet. Die vorvertragliche Bedenkzeit liefe dann praktisch leer.

Praxishinweis für Schwarmfinanzierungsdienstleister

Schwarmfinanzierungsdienstleister, die sichergehen wollen, sollten daher auch in den Fällen des unmittelbaren Vertragsschlusses, dem nicht kundigen Anleger eine Bedenkzeit von vier Tagen ab Zeichnung und das damit zusammenhängende Widerrufsrecht einräumen. Dies gilt sowohl für Unternehmen als auch Verbraucher. Das Verbraucherwiderrufsrecht bleibt davon unberührt. Die Widerrufsfrist läuft in diesem Fall für Verbraucher (ebenfalls) ab Vertragsschluss. Keinen Anlass gibt es allerdings, die vorvertragliche Bedenkzeit und die Widerrufsfrist auf insgesamt 18 Tage zu summieren. Das würde die Intention des Gesetzgebers doch deutlich überschreiten. Auch aus Verbraucherschutzgesichtspunkten gibt es hierfür keinen Anlass. Der Verbraucher wird durch sein 14-tägiges Verbraucherwiderrufsrecht hinreichend vor einer voreiligen Entscheidung zum Vertragsschluss geschützt. Eine gesetzgeberische Klarstellung wäre gleichwohl wünschenswert.

ECSP-VO lässt weiterhin Fragen offen

Durch die vorvertragliche Bedenkzeit soll der Anleger vor einem übereilten Vertragsschluss geschützt werden, bei dem er die Risiken seines Engagements möglicherweise nicht ausreichend überblicken könnte. Insofern bietet die vorvertragliche Bedenkzeit ein neues, zusätzliches Element des Anlegerschutzes. Leider lässt die Regelung in einigen Aspekten Fragen offen. Dies zeigt sich insbesondere an dem Verhältnis zum Verbraucherwiderrufsrecht. Unternehmen, die eine Erlaubnis als Schwarmfinanzierungsdienstleister anstreben, werden dadurch bei der Gestaltung der digitalen Crowdfunding-Plattform und des Investitionsprozesses vor Herausforderungen gestellt.

 

 

[1]Rennig, in BeckOK, Wertpapierhandelsrecht, 3. Edition, 15.02.2022, § 32c WpHG, Rn. 16.