Das Kryptowert-Whitepaper nach MiCAR für nicht wertreferenzierte Token – Wertpapierprospekt „light“?


Mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Kryptowerte und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (engl. „Regulation of the European Parliament and of the Council on Markets in Crypto-assets, and amending Directive (EU) 2019/1937“, kurz „MiCAR“) plant die EU erstmals einen Rechtsrahmen für die Emission sogenannter wertreferenzierter und nicht wertreferenzierter Token (wir berichteten bereits hier). Am 14. März 2022 stimmte der Ausschuss für Währung und Wirtschaft des EU-Parlaments unter großer medialer Auf-merksamkeit wegen eines möglichen Bitcoin-Verbots bzw. des Proof-of-work Konsensmechanismus über aktuelle Änderungsvorschläge hierzu ab (siehe zum seinerzeitigen Bitcoin-Verbot bereits hier sowie das gemeinsame Statement mit der European Blockchain Association hier). Das Bitcoin-Verbot kam dann (vorerst) nicht; allerdings wurden einige Änderungen/Ergänzungen in Bezug auf das Whitepaper aufgenommen. Sowohl für wertreferenzierte als auch für nicht wertreferenzierte Token schreibt die MiCAR eine Pflicht zur Erstellung eines Whitepapers vor. Die Regelungssystematik der MiCAR ist hierbei so gewählt, dass die Emission entsprechender Token grundsätzlich verboten ist, falls nicht – neben weiteren Anforderungen – ein Whitepaper in Bezug auf die Emission erstellt wird. Für nicht wertreferenzierte Token ist vorgesehen, dass das Whitepaper nach seiner Erstellung von der zuständigen Behörde „notifiziert“ und im Anschluss veröffentlicht wird.

I. Pflicht zur Erstellung eines Whitepapers nach MiCAR

Nicht wertreferenzierte Token sind solche, für die kein fester Basiswert, z.B. eine Nominalgeldwährung als Bezugsgrundlage verwendet wird, um eine gewisse Wertstabilität zu erreichen (auch „Stable Coins“ genannt). Oft werden sich nicht wertreferenzierte Token als Zahlungstoken im Wirtschaftskreislauf weiderfinden (auch „Virtuelle Währung“, „Payment-Token“ oder „Bare-Bone-Token“). Diese sind ähnlich wie Bitcoin ausgestaltet, eine Nutzung der Token als alternatives Zahlungsmittel ist vom Anbieter in der Regel beabsichtigt.

Bislang keine Regulierung von Whitepapern

Auch bisher werden bei ICOs regelmäßig Whitepaper veröffentlicht, welche Informationen zum geplanten Geschäftszweck, zu den handelnden Personen und der technischen Ausgestaltung der Token beinhalten. Nicht selten finden sich im Whitepaper auch Risikohinweise. Whitepaper sind jedoch bislang nicht reguliert; die Erstellung erfolgt auf freiwilliger Basis. Es wurde in der Vergangenheit allerdings vonseiten der BaFin beklagt, dass Informationen in einem solchen Whitepaper oftmals nicht hinreichend umfassend und präzise sind und dass die Inhalte der Whitepaper auch während der Laufzeit der ICO geändert wurden (BaFin, Zweites Hinweisschreiben zu Prospekt- und Erlaubnispflichten im Zusammenhang mit der Ausgabe sogenannter Krypto-Token, Stand 16. August 2019, Ziff. I). Eine umfangreiche Information der Anleger/Käufer von Token blieben Whitepaper oftmals schuldig. Whitepaper sind bislang keine mit Wertpapier- und Vermögensanlagenprospekten vergleichbaren Informations- und Haftungsdokumente.

Whitepaper als Wertpapierprospekte „light“?

Der Entwurf der MiCAR stellt weitreichende und detaillierte Anforderungen an ein Krypto-Whitepaper auf. Dabei gibt es einige Parallelen zu den Anforderungen an Wertpapierprospekte.
So ist dem Whitepaper – genauso wie bei einem Wertpapierprospekt – eine Zusammenfassung voranzustellen, die in knapper und nichttechnischer Sprache wesentliche Informationen über das öffentliche Angebot der Token liefert und insbesondere die wesentlichen Elemente der betreffenden Token nennt. Format und Inhalt der vorangestellten Zusammenfassung sollen in Verbindung mit dem Whitepaper geeignete Informationen über wesentliche Elemente der betreffenden Token liefern, um potenziellen Käufern der Token eine fundierte Entscheidung hierüber zu ermöglichen. Die in der Zusammenfassung erforderlichen Hinweise (Zusammenfassung ist als Einführung zu verstehen und Käufer sollten Kaufentscheidungen auf der Grundlage des gesamten Whitepapers treffen) sind an die EU-Prospektverordnung angelehnt.
Auch die Unterscheidung im Hauptteil des Whitepapers zu „Angaben bzgl. des Emittenten“ (einschließlich zu etwaigen Interessenkonflikten und Angaben zur Finanzentwicklung des Emittenten in den letzten drei Jahren), den weiteren „Angaben bzgl. des Projekts“ und den „Angaben bezgl. öffentlichem Angebot“ folgen einer bekannten Systematik. Schließlich liegt ein Schwerpunkt der Darstellung auf den „Angaben zu verwendeten Technologien“, einer Kategorie, die es bei Wertpapierprospekten so nicht gibt. Die Risikodarstellung, die zwischen Risiken in Bezug auf Emittenten und Risiken in Bezug auf die Kryptowerte differenziert, entspricht dann wieder der Darstellung in Wertpapierprospekten (Unterscheidung zwischen emittenten- und wertpapierbezogenen Risiken). Für das Whitepaper werden diese Risikokategorien um weitere Kategorien ergänzt.
Der europäische Gesetzgeber hat sich somit offenkundig für die Anforderungen des Whitepapers an denen von Wertpapierprospekten zumindest orientiert und diese ergänzt/angepasst, wo dies in Bezug auf Kryptowerte notwendig erschien (z.B. die technische Ausgestaltung).

II. Notifizierung und Veröffentlichung des Whitepapers

Keine zwingende Billigung des Whitepapers durch die Aufsichtsbehörde

Für nicht wertreferenzierte Token sieht die MiCAR vor, dass die zuständigen Behörden vor der Veröffentlichung keine vorherige Genehmigung des Whitepapers verlangen. Anders als bei Wertpapierprospekten ist eine vorherige Billigung oder Gestattung des Whitepapers vor der Veröffentlichung nicht erforderlich. Zeitlich aufwendige Billigungsverfahren bei den zuständigen Behörden für ein Whitepaper, wie es bei den Wertpapierprospekten der Fall ist, gibt es also nicht.
Für Emittenten von nicht wertreferenzierten Token soll es aber auf freiwilliger Basis möglich sein, die zuständigen Behörden vorab um eine Genehmigung des Whitepapers zu ersuchen. Diese vorab erteilte Genehmigung des Whitepapers soll in der gesamten EU Gültigkeit besitzen. Aus Sicht des Emittenten bedeutet dies sicherlich eine erhöhte Rechtssicherheit, auch wenn dem vor allem ein hoher zeitlicher Aufwand gegenübersteht.

Notifizierungsverfahren für Whitepaper als Neuerung

Emittenten von nicht wertreferenzierten Token „notifizieren“ allerdings der zuständigen Behörde ihres Herkunftsmitgliedstaats das von ihnen erstellte Whitepaper spätestens 20 Arbeitstage vor dessen Veröffentlichung. Der Begriff Notifizierung steht hier allerdings nicht im Zusammenhang mit dem bekannten EU-Passporting-Verfahren, wie das z.B. bei Erlaubnisverfahren oder Wertpapierprospekten der Fall ist. Es handelt sich um die bloße Anzeige und Einreichung des Whitepapers, ohne eine Entscheidung der Aufsicht hierüber einzuholen. Die Aufsicht kann bei Verstößen gegen die Regulierung gleichwohl einschreiten, weshalb es dort wohl zu gewissen Prüfverfahren kommen kann.
In der Notifizierung ist auch zu erläutern, weshalb der im Whitepaper beschriebene Token nicht als E-Geld nach der zweiten E-Geld-Richtlinie, nicht als Einlage oder eine strukturierte Einlage bzw. ein Finanzinstrument nach der MiFID II zu betrachten ist.
Im Anschluss an die Notifizierung übermitteln die zuständigen Behörden das jeweilige Whitepa-per der ESMA, die dieses in einem von ihr erstellten Verzeichnis aller Anbieter von Krypto-Dienstleistungen zur Verfügung stellt.
Zusätzlich veröffentlicht der Emittent selbst das Whitepaper auf seiner öffentlich zugänglichen Website spätestens zum Startdatum des öffentlichen Angebots der Token. Das Whitepaper muss auf der Website des Emittenten so lange verfügbar bleiben, wie die Token vom Publikum gehalten werden.
Falls ein Emittent die Emission auch in anderen weiteren Ländern des EWR plant, müssen Emittenten der zuständigen Behörde ihres Herkunftsmitgliedstaats zusammen mit der Notifizierung eine Liste von Aufnahmemitgliedstaaten übermitteln, in denen sie beabsichtigen, ihre Token öffentlich anzubieten, sowie das Startdatum des geplanten öffentlichen Angebots. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats unterrichtet dann die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats über das geplante öffentliche Angebot innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Erhalt der Liste. Dies entspricht dann tatsächlich dem EU-Passporting-Verfahren von Wertpapierprospekten für eine unionsweite Geltung von gebilligten Prospekten bzw. notifizierten Whitepapern.

III. Fazit

Die MiCAR enthält detaillierte Anforderungen an Whitepaper für nicht wertreferenzierte Token. Für den Erwerber bedeutet dies ein höheres Schutzniveau, weil er umfassend über die Tokenprojekte und den Emittenten sowie mögliche Risiken informiert wird. Dass solche Whitepaper allerdings grundsätzlich keiner vorherigen Billigung oder Gestattung bedürfen, ist aus Sicht des Emittenten im Hinblick auf Zeit- und Kostenersparnis zu begrüßen. Gerade zu Beginn der Regulierung mag es aber sinnvoll sein, das Whitepaper freiwillig durch die Aufsicht prüfen zu lassen, um Risiken aufgrund möglicher Unsicherheiten bei der Umsetzung der Regulierung zu reduzieren.